Die Multiple Sklerose assoziieren viele Menschen mit einem Leben im Rollstuhl. Dies kann Angst bereiten und ist auch nicht ganz unverständlich. Denn die Multiple Sklerose ist eine neurologische Erkrankung, die häufig schon im jungen Erwachsenenalter auftritt und das Leben der Patienten stark beeinträchtigen kann. Dass die Multiple Sklerose jedoch vielseitig ist und ein großer Teil der Patienten auch ohne Rollstuhl ein selbstständiges Leben führen kann, wird im nachfolgenden Text verdeutlicht. Jedenfalls wird erklärt, worum es sich bei der Multiple Sklerose handelt und welche Therapiemöglichkeiten es für die Patienten gibt.
Umgangssprachlich wird die Multiple Sklerose nicht umsonst, die "Krankheit mit den tausend Gesichtern" genannt. Die Symptomatik ist sehr vielfältig und kann isoliert oder in Kombination mit anderen Symptomen auftreten. Je nachdem wo sich die entzündlichen Herde im zentralen Nervensystem befinden, kommt es zu Defiziten der Reizweiterleitung und den entsprechenden Symptomen. So ist die anamnestische und körperliche Untersuchung zur Diagnostik bei der Multiple Sklerose allein nicht ausreichend und es Bedarf einer Kombination mehrerer Diagnoseverfahren, um auf die Erkrankung zu kommen. Der Grund hierfür ist, dass die ersten Anzeichen anderer Erkrankungen, wie der Borreliose gleichen. Obwohl die Multiple Sklerose eine ernsthafte Erkrankung ist, sind die ersten Anzeichen eher mild und lassen nicht sofort darauf schließen. Bei einem gewissen Anteil sind Parästhesien wie Kribbeln oder Taubheitsgefühle in den Armen und Beinen zu spüren. Auch kann sich der Patient in der ersten Zeit schlapp, müde und kraftlos fühlen. Schwäche der Blase oder des Darms können ebenfalls folgen und im späteren Stadium zu einer Inkontinenz führen. Einschränkungen im Sehvermögen sind jedenfalls nicht selten. Wenn die Multiple Sklerose weiter fortschreitet, kommt es zu einer Verminderung der Kraft der gesamten Skelettmuskulatur. Hierdurch schränkt sich die Mobilität und Selbstständigkeit des Patienten ein. Bezüglich der Skelettmuskulatur ist der Spasmus (Verkrampfung) nicht unüblich und kann zu Schmerzen führen.
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Neben den körperlichen Symptomen, kommt noch die seelische Komponente hinzu. Die Müdigkeit bei der Multiplen Sklerose wird auch Fatique genannt und kann in Kombination mit einer Depression auftreten. Es stellt sich eine Antriebslosigkeit beim Patienten ein, die neben dem körperlichen Beschwerdebild in der Therapie nicht vernachlässigt werden darf.
Bis heute ist die Ursache der Multiple Sklerose nicht durchgehend erforscht, es können lediglich Theorien aufgestellt werden. Relevant in der Pathophysiologie der Multiple Sklerose sind die sogenannten Myelinscheiden. Diese ummanteln - wie fetthaltige Schläuche - abschnittweise die Nerven. Aufgabe der Myelinscheiden ist eine beschleunigte Reizweiterleitung entlang des Nervs. Da das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) auf diese schnelle Reizweiterleitung angewiesen ist, finden sich hier unzählige Nerven mit Myelinscheiden. Bei der Multiplen Sklerose kommt es aufgrund körpereigener Antigene zu einer Zerstörung dieser Myelinscheiden. Durch die Zerstörung entstehen Entzündungen an den Nerven, die zu einer Entmyelinisierung der Nervenfasern führen. Wenn die Entzündungen nach Tagen wieder abklingen, verschwinden die Symptome auch wieder. Jedoch entstehen Narben an den Nerven, die durch Plaques am MRT zu sehen sind. Wieso es zu dem Angreifen der Myelinscheiden vom körpereigenen Immunsystem kommt, ist nicht vollständig erforscht. Auch kann es durch die Plaques, zu dauerhaften Defiziten am Körper kommen. Als Ursachen werden eine Vielzahl an Umweltfaktoren und auch Infektionen vermutet. Zu den Infektionen stehen das Herpesvirus oder auch das Epstein-Barr-Virus in Verdacht. Auch Umweltfaktoren wie das Rauchen, ein allgemein ungesunder Lebensstil oder Mangel an Vitamin-D werden untersucht oder als Einflussfaktoren gezählt.
Eine Heilung der Multiplen Sklerose ist bis heute nicht möglich. Jedoch können die Beschwerden und auch die Schübe behandelt werden. Durch Medikamente lassen sich die Schübe vermindern und die Abstände zwischen zwei Schüben verlängern. Auch wird nach Symptombild behandelt und es ergibt sich eine Vielzahl an Behandlungsmöglichkeiten. Da die Entzündungen überall im zentralen Nervensystem entstehen können, kann jeder Abschnitt des Körpers betroffen sein. Bei Einschränkungen im Sprechen, kann Logopädie dem Patienten aktiv helfen, sein Sprechvermögen zu trainieren. Auch bei der Selbstständigkeit und Mobilität des Patienten kann Ergo- und Physiotherapie verordnet werden. Besonders bei Bettlägerigkeit ist das Risiko von Kontrakturen und Osteoporose gegeben. Durch die Immobilität baut die Muskulatur des Patienten ab und die Knochendichte wird poröser. Wenn der Patient sich selbstständig bewegen kann und ohne Hilfsmittel mobil ist, kann er mit einer Vielzahl an Übungen seinen Körper leistungsfähig halten. Dies gilt auch bei Patienten, die auf den Rollstuhl angewiesen sind. Hierbei kann der Patient durch Training, seine Möglichkeiten austesten und diese für seine Selbständigkeit nutzen. Zum Training in der Ergo- und Physiotherapie gehören das Üben von Aktivitäten und auch das Krafttraining. Bei Verspannungen können dehnende Übungen, sowie manuelle Griffe vom Therapeuten helfen. Im Falle von psychischen Leiden kann der Patient psychotherapeutisch behandelt werden. Weiterhin wird die Umwelt des Patienten auf ihn ausgerichtet. Bei nötigen Hilfsmitteln, werden diese besorgt. Auch sollte der Wohnraum für den Zustand des Patienten angepasst sein. Dies soll gewährleisten, dass er durch seine Umwelt nicht an seiner Selbstständigkeit gehindert wird.
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Die entzündlichen Prozesse an Gehirn und Rückenmark sind durch eine Überreaktion des Immunsystems verursacht. Bei akuten Schüben sind Methylprednisolon und die Plasmapherese sehr effektiv, sodass sich die Beschwerden nach einigen Tagen wieder bessern. Um das Immunsystem an sich zu dämpfen und weitere Schübe vorzubeugen, kann die Immunmodulation eingesetzt werden. Es wird weiterhin an neuen Mitteln geforscht, um die Multiple Sklerose zu behandeln. Weitere Behandlungen können der Einsatz von Cannabis zur Reduktion von Schmerzen oder die Knochenmarkstransplantation sein. Cannabis wird jedoch nur dann eingesetzt, wenn es sonst keine wirksame Therapie gegen die Schmerzen gibt. Wenn zur Multiple Sklerose noch Depressionen und Müdigkeit hinzukommen, können diese ebenfalls medikamentös mit Antidepressiva behandelt werden.
Je nach Patient kann sich der Verlauf der Multiplen Sklerose unterscheiden und in den einen Fällen schwerwiegender und in den anderen Fällen milder ausgehen. Bei der schubförmigen, remittierenden Verlaufsform (häufigste Form der Multiplen Sklerose), nimmt die Symptomatik nach den Schüben wieder komplett ab. Dieser Verlauf ist für die Patienten am günstigsten, da diese häufiger ein selbständiges Leben führen und einer Arbeit nachgehen können. Bei der sekundär, progredienten Multiple Sklerose kommt es jedenfalls zur Verschlechterung nach Schüben, die im späteren Verlauf dauerhaft bleiben. Patienten mit dieser Verlaufsform benötigen vermehrt Hilfsmittel für den Alltag. Im Falle der primär, progredienten Multiple Sklerose taucht die Symptomatik ohne Schub auf und verschwindet nicht mehr. Der Zustand des Patienten kann sich hierbei dauerhaft verschlechtern.
Die entzündlichen Prozesse bei der Multiple Sklerose laufen in den meisten Fällen in Schüben ab, die je nach Form in weiten oder geringeren Abständen voneinander auftreten. Die Abstände der Schübe reichen von mindestens 30 Tagen bis zu mehreren Monaten oder Jahren. Daraus resultiert eine Verschlechterung der Symptome, die schnell auftreten können oder sich erst über Tage entwickeln. Wenn ein Schub bei der Multiple Sklerose eintritt, halten sich diese für mindestens 24 Stunden. Wenn der Schub wieder abklingt, geht auch die Symptomatik wieder zurück oder kann in einigen Fällen auch ganz abklingen. Jedoch wird es je häufiger und schwerer die Schübe auftreten, auch immer schwieriger, dass die verursachte Symptomatik wieder verschwindet. Die Intensität der Verschlechterung kann bei jedem Patienten unterschiedlich sein. Wenn es in der Therapie gelingt, die Entzündungen im zentralen Nervensystem zu kontrollieren, verlängert sich der Abstand der Schübe.
Kann man mit der Multiplen Sklerose alt werden? Diese Frage kann definitiv mit einem Ja beantwortet werden. Das Lebensjahr der Patienten kann auch über das 70. Lebensjahr hinausgehen und so ist es auch bei einem schweren Verlauf möglich alt zu werden. Auch wenn die Multiple Sklerose zu einem massiven Verlust der eigenen Selbstständigkeit führen kann ist diese nicht tödlich.
Wenn ein Paar ein Kind bekommt und eines der Elternteile oder beide an einer Multiple Sklerose erkrankt sind, muss dies das Kind nicht bekommen. Die Multiple Sklerose ist an sich nicht vererbbar. Lediglich die Begünstigung hierfür, kann dem Kind mitgegeben werden. Es existiert nur ein geringer Prozentsatz an Patienten, die auch eine familiäre Disposition (Veranlagung) haben. So ist alleine die Veranlagung nicht ausschlaggebend und auch die Umweltfaktoren müssen hierbei wieder berücksichtigt werden.
Bezüglich des Geschlechtes betrifft die Multiple Sklerose häufiger Frauen als Männer. Hierdurch stellt sich die Frage, ob bei diagnostizierter Multipler Sklerose auch eine Schwangerschaft beschwerdefrei möglich ist. Wie schon erwähnt, wird die Multiple Sklerose nicht an das Kind vererbt. Lediglich die Veranlagung wäre vorhanden, die jedoch nicht entscheidend ist, später an einer Multiplen Sklerose zu erkranken. Neben dem Kinderwunsch ist eine Schwangerschaft genauso möglich, wie bei gesunden Personen. Auch unterscheidet sich die Zeugungsfähigkeit bei Patienten nicht von gesunden Personen. Ebenso häufig werden geringere Schübe in der Schwangerschaft beobachtet. Es können lediglich Beschwerden durch die Schwangerschaft auftreten. So muss die Patientin mehr oder weniger Energie in die Schwangerschaft und Geburt aufwenden. Wenn ein Kinderwunsch besteht, kann dieser ruhig mit dem Arzt besprochen und geplant werden. Ebenfalls sollte während der Schwangerschaft die Medikamenteneinnahme mit dem Arzt besprochen werden, um das ungeborene Kind nicht zu schädigen. Auch bei ungeplanten Schwangerschaften, ist eine Abklärung mit dem Arzt günstig für die Patientin.
Um die Multiple Sklerose von anderen Erkrankungen (z.B. Borreliose) zu unterscheiden, bedarf es einer umfangreichen Differenzialdiagnostik. Durch eine Anamnese werden Risikofaktoren erfragt und sich ein allgemeines Bild vom Patienten gemacht. Durch die körperliche Untersuchung werden neurologische Tests am Patienten durchgeführt, die Kraft, Reflexe, Feinmotorik und Muskelspannungen überprüfen sollen. Auch die Nervenleitgeschwindigkeit kann durch die elektrophysiologische Messung untersucht werden, um Defizite zu erkennen. Bei einer langsamen Weiterleitung der Nervenimpulse, erschließt sich der erste direkte Verdacht auf eine Multiple Sklerose. Im weiteren Schritt wird das zentrale Nervensystem des Patienten genauer untersucht. Bildgebende Verfahren wie das MRT (Magnetresonanztomographie) bieten einen Einblick ins Innere des zentralen Nervensystems und können entzündliche Herden ersichtlich machen. Diese entzündlichen Herde sind Folgen der zerstörten Myelinscheiden, welche angegriffen wurden. Dabei werden Eiweiße bzw. spezielle Antikörper frei, die sich durch eine Liquoruntersuchung nachweisen lassen. Der Liquor ist eine Flüssigkeit im Bereich des Gehirns und des Rückenmarks. Diese wird am Rücken per Lumbalpunktion durch eine Hohlnadel entnommen. Ebenfalls können zeitliche und örtliche Abstände der Schübe (McDonald-Kriterien), zur sicheren Diagnose der Multiplen Sklerose führen.
Immernoch muss die Multiple Sklerose in ihren Ursachen und Heilungschancen erforscht werden. Auch wenn die Erkrankung tückisch sein kann, ist ein selbstständiges Leben möglich. Dies geht von der normalen Lebenserwartung bis hin zum Kinderwunsch hinaus. Um den Patienten so eine gute Lebensqualität zu ermöglichen und auch Betroffenen mit schweren Fällen helfen zu können, ist die Therapieeffizienz wichtig.
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